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Ein Resümee
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türkischer
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Geschichte
„Mustafa Kemal Atatürk unternahm
den kühnen Versuch, die orientalisch geprägte Gesellschaft der Türkei
zu verwestlichen - und scheiterte."
von Wolfgang KOYDL
Bemerkenswert sind immer wieder die
Beiträge von Wolfgang Koydl in der Süddeutschen Zeitung. Als
Auslandskorrespondent berichtet er aus der Türkei. Ein kurzes Resümee
türkischer Geschichte legt er uns in diesem am 24. 11. 1999 in der SZ
erschienenen interessanten und sachlichen Artikel vor.
Zum größten Mann des vergangenen Jahrhunderts haben
ihn seine Landsleute doch nicht wählen können, obschon sie sich redlich
bemüht hatten: als das Time-Magazin weltweit eine Umfrage über den „Mann
des Jahrhunderts" durchführte, meldeten sich Abertausende von
Türken. In ihren Faxen, Briefen und E-mails stand nur ein Name: Mustafa
Kemal Atatürk.
Jenseits von Bosporus und Ararat mag der Gründer der
türkischen Republik nicht die an Heiligenverehrung erinnernde Bedeutung
haben wie in der Heimat; gleichwohl gibt es nur wenige Staatsmänner des
20. Jahrhunderts, deren Namen so unverkennbar mit ihrem Land verbunden
sind, wie jener des „Vaters der Türken". Außerdem ist Atatürk
der einzige Ideologe des Millenniums, dessen Weltanschauung im 19.
Jahrhundert wurzelt und dem dennoch der Sprung ins 21. Jahrhundert gelang.
Dabei war der gelernte Generalstabsoffizier seiner Majestät des
Sultans allen Ideologien zunächst abhold. Doch letztlich erlag auch er
dem süßen Gift des Nationalismus. Als das Osmanische Reich 1918
geschlagen am Boden lag und das anatolische Herzland unter den Siegern
aufgeteilt werden sollte, war es Mustafa Kemal, dem zwei Dinge gelangen:
die Vertreibung der fremden Truppen und die Gründung einer Republik, die
vorgeblich mit der 700-jährigen Vergangenheit des Osmanischen Reiches
brach.
Tatsächlich war Atatürk nur ein Herrscher in einer
langen Reihe von Reform-Sultanen. Gleichwohl ging seine Revolution tiefer.
„Es gibt viele Kulturen, aber nur eine Zivilisation - die
europäische", sagte er und verordnete seinen verunsicherten
Landsleuten Europa als Medizin: Sie sollten Hüte statt roter Fese tragen,
das lateinische anstelle des arabischen Alphabets schreiben. Säkularismus
löste den Staats-Islam ab; die Frauen mussten den Schleier ablegen und
durften wählen. Zuletzt erhielt jeder Türke noch einen Familiennamen.
Schiefgehen konnte das Jahrhundertexperiment am
lebenden Objekt eigentlich nicht. Denn Atatürk wusste, dass sein Volk in
einer Mischung aus Pragmatismus und Obrigkeitsfurcht jede Veränderung
mitmachen würde - sei es zum eigenen Schutz oder auch nur zum Schein. Zur
Sicherheit verschrieb er den Türken eine Dosis starken Nationalismus,
obschon dies eigentlich im Widerspruch zum offenen Europa-Gedanken stand.
Damit war bereits die Saat zum Scheitern gelegt: Mit
Ausnahme einer gebildeten städtischen Elite blieb die Mehrheit des Volkes
den alten Sitten und vor allem ihrer Religiosität verhaftet. Die Folgen
liegen auf der Hand: An der Schwelle zum neuen Jahrhundert plagen die
Türkei die selben Sorgen wie bei ihrer Gründung vor 76 Jahren. Weder der
Islam noch die nicht-türkischen Bevölkerungsteile konnten in die
kemalistische Staatsordnung integriert werden.
Atatürk unternahm den kühnen Versuch, eine orientalische Gesellschaft
mit Gewalt zu verwestlichen. Doch im Grunde dauerte sein Experiment nur 15
Jahre: von der Republikgründung 1923 bis zu Atatürks Tod 1938. Wo es
kopiert wurde, wie im Iran und in Afghanistan, scheiterte es schon früh.
In der Türkei erhoben Atatürks Nachfolger sein System zur Ehre der
Altäre, machten den Gründer zum Gott, und sich selbst zur Priesterkaste.
Damit erhielten sie zwar den Namen Atatürk am Leben. Sein Werk indes
zerstörten sie.